4. Juni 2018 – die Restessbar im Täli öffnet erstmals die Türe. 3 Jahre später hat das Team Lebensmittel im Verkaufswert von rund 800’000 Fr. verteilt, d.h. vor der Vernichtung gerettet.
Sabrina Rüegg ist Initiantin und Präsidentin des Vereins Restessbar Gretzenbach. Ausschlaggebend war, dass sie im Gastgewerbe tätig ist und da mitbekommen hat, wie viele Lebensmittel weggeworfen werden. Bekannte von ihr haben damals bei der Restessbar in Olten mitgemacht, so kam sie an Informationen, wie so etwas aufgebaut werden kann. Sie suchte Gleichgesinnte, zu fünft starteten sie das Projekt. Bei der Suche nach entsprechenden Räumlichkeiten hat die Gemeinde Gretzenbach sehr schnell reagiert und das Lokal in der Zivilschutzanlage Täli dafür zur Verfügung gestellt. Innerhalb von 4 Wochen konnte die Eröffnung gefeiert werden. Weil die Gemeinde so schnell ein Angebot gemacht hatte, befindet sich die Restessbar jetzt nicht in Däniken.
Rund 20 Helferinnen und Helfer engagieren sich in diesem Verein. Sie stellen ihre Zeit bei der Lebensmittelverteilung und beim Sammeln der Lebensmittel zu Verfügung. Sie spenden auch die Benzinkosten, da die Waren zum Teil täglich abgeholt werden. Somit wird klar: Der Verein lebt vom Engagement der Mitglieder.
Der Verein zieht keine Mitgliederbeiträge ein, er finanziert sich nur aus Spenden und den Bezahlmonaten Juni und Dezember. In diesen Wochen kostet ein Lebensmittelpaket täglich 1.-.
Die Mitarbeiter arbeiten gratis; sie dürfen dafür an Sonn- und Feiertagen, da das Lokal geschlossen ist, Waren beziehen; unter der Woche ist das Angebot dafür meist zu knapp.
Warum macht die Aktuarin Miriam Dopple mit? ‘Mein Vater ist pensioniert, die AHV reicht ihm aber nach allen Abzügen nicht zum Leben. Weil das so ist, mache ich hier mit. Und zudem haben wir in der Schweiz eine Lebensmittelverschwendung, die so nicht sein müsste!’
2019 wurden in der Schweiz mehr als 2,5 Mio Tonnen Lebensmittel fortgeworfen; pro Haushalt entsprach das einem Warenwert von rund 600 Franken.
Die tägliche Sammeltour führt zum Spar, dem Elite Markt, zu Früchte Rychard, zum Beck Maier und zum Café Squindo in Niedergösgen. Der Wegfall des Spar wegen des Abbruchs und des Neubaus der Liegenschaft wird daher sehr bedauert.
Verschiedene Firmen melden per Mail, wenn Ware abgeholt werden kann. So warten im Moment Mineralwasserflaschen der Brunner Getränke AG auf Abnehmer und der Kühlschrank ist gefüllt von Smoothie-Säften, die gelangten direkt von einem Lager hierher.
Die Lebensmittelgesetzgebung ist für den Detailhandel sehr streng, es gelten die Haltbarkeitsdaten. Die Restessbar darf die Ware 6 Tage darüber hinaus abgeben, die Kühlkette ist aber in jedem Fall einzuhalten. Auch ein Hygienekonzept ist vorgeschrieben und der Lebensmittelinspektor kann ebenfalls unangemeldet auftauchen.
Im Schnitt stehen täglich 25 Personen vor dem Lokal an. Abnehmer des Lebensmittelausschusses sind: Asylsuchende, Pensionierte und Menschen, die die Food Waste-Mentalität ablehnen. Und GretzenbacherInnen? Die getrauen sich eher weniger hierher; aus Angst? Aus Scham?
Natürlich bleiben auch im Lokal Resten übrig. Selbst dafür gibt es noch Abnehmer. Die Familie Sennhauser (das sind FOG-Mitglied Urs, seine Frau Nadia, die Kinder und die Schwägerin) holt nach Lokalschluss die Resten der Resten und verteilt diese über einen eigenen Kanal weiter. So geht kaum etwas verloren – altes Brot vielleicht. Das wird im Winter nach Däniken geliefert und als Hühnerfutter verwendet, in den übrigen Monaten ist es Fressen für Schafe.
Ziel des Vereins ist, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Bei der Caritas ist das umgekehrt. Da geht es primär darum, sozial Benachteiligte zu unterstützen, die Lebensmittelverwertung hat eher sekundären Charakter. Eine Mitarbeiterin im Lokal sieht das so: ‘Selbst wenn einer mit dem Lamborghini vorfahren würde, wir würden ihn nicht wegschicken; denn diese Person hat gemerkt, dass hier kein Essen weggeworfen wird!’
So konnten in 3 Jahren allein in Gretzenbach Lebensmittel im Wert von 800’000 Franken vor der Vernichtung bewahrt werden, die Millionengrenze ist nicht mehr fern.
Google zeigt Restessbars in Olten / Baden / Zofingen / Langenthal und Solothurn an, aber komischerweise nicht in Gretzenbach.
Die Restessbar Gretzenbach ist dafür – nach eigener Aussage – die einzige in einem Dorf. Der Nachteil davon ist, dass ‘wir weniger Geschäfte in der Nähe und vor allem weniger MitarbeiterInnen haben’, so die Aktuarin.
Sind Vereine wie Restessbar Konkurrenten für den Detailhandel? Eher Nein, weil ihre Klientel oft gar nicht in die Läden geht. Und Lebensmittelgeschäfte bieten teilweise selber to-good-to-go-Säcke mit stark vergünstigten Lebensmitteln an. Konkurrenziert werden dafür Organisationen wie Tischlein deck dich, die teilweise Abnahmeverträge mit Filialen hier im Dorf haben.
Beck Maier stand zu Beginn dem Projekt skeptisch gegenüber. Ein Augenschein vor Ort überzeugte ihn und seither bietet er selber Brot vom Vortag zum reduzierten Preis an: Miriam Dopple: ’Für uns fällt zwar weniger ab, aber das ich ja auch eine Form von ‹Kein Food Waste› und das ist ja positiv!’
Das heimliche Drofzentrum
Die Restessbar mauserte sich in der Zeit des Bestehens zu einem lokalen Treffpunkt. Besonders während Corona war das so, weil man hier doch wieder mal Menschen getroffen hat. Bei der Lebensmittelabgabe findet oft ein kultureller Austausch statt: Exotisches Auberginenrezept gegen Anweisung der Spargelzubereitung.
Das Aufeinandertreffen der verschiedenen Kulturen ersetzt den Deutsch- (oder Fremdsprachen-)Kurs und immer wieder ist der Ort Anlaufstelle für Auskünfte aller Art. Gar wie auf einem Bazar geht es zu, wenn Schuhe, Kleider und Spielsachen abgegeben werden.
Wer Geburtstag feiern kann, auch wenn es nur 3 Jahre sind, darf sich etwas wünschen. Was wäre das für die Restessbar? Die Präsidentin Sabrina Rüegg: ‘Entwicklungsbedarf sehen wir darin, dass wir dringend auf freiwillige Helfer angewiesen sind. Und dass sich die grossen Läden im Dorf wie Aldi, Lidl und Denner doch noch überzeugen liessen, ihre Waren uns zu geben – wir würden sie täglich abholen!’
Zum Schluss eine Geschichte, die aus der Restessbar entstanden ist: Ein Ehepaar aus Däniken holt in der Restessbar Lebensmittel, obwohl es dies aus finanziellen Gründen nicht nötig hätte. Es verarbeitet zu Hause die Sachen zu Desserts oder portioniert und gefriert sie ein und macht daraus kleine Geschenke für betagte Menschen aus dem Bekannten- und Kundenkreis, die selbst nicht nach Gretzenbach kommen können – die Restessbar bietet keinen Hauslieferservice an. Das besagte Ehepaar ist – aus Eigeninitiative – in diese Lücke geschlüpft.