Dorfleben, Highlight

Am Samstag vor 17 Jahren

27. November 2004, Samstag – ein Datum, das die Angehörigen der Feuerwehr Schönenwerd – Gretzenbach nicht vergessen. Während eines Einsatzes in der Tiefgarage des Staldenackers bricht unerwartet die Betondecke ein und erschlägt 7 ihrer Kameraden. Ein Jahr später wird am Unglücksort der Gedenkstein gesetzt und seither gibt es am Jahrestag einen Fackelmarsch hierher.

Kurz vor 7 Uhr trifft die Gruppe, bestehend aus 9 Männern und einer Frau, beim Gedenkstein ein. Die einen sind in der Ausrüstung da und zeigen, dass sie immer noch aktiv mitmachen – die andern sind inzwischen ausgetreten. Praktisch alle der Anwesenden sind damals im Einsatz gestanden. Zum Teil waren sie wenige Minuten vor dem Einsturz noch selbst in der Tiefgarage. Auch jener Feuerwehrmann, der damals als einziger das Unglück überlebt hat, ist anwesend.

Der heutige Morgen verläuft etwas anders, sie werden erwartet. Die gestellten Fragen konfrontieren sie noch stärker mit ihren Erlebnissen vor 17 Jahren. Die Emotionen und die langen Pausen machen das Erlebte und den Umgang damit spürbar.

Was ist die Erinnerung an den Unglückssamstag nach so vielen Jahren?
‘Hoffnungslosigkeit!’ ist das erste Stichwort. ‘Hoffnungslosigkeit, dass man nichts machen konnte und dass sieben Männer beim Routineeinsatz verstorben sind.’

‘Ich habe den Auftrag erhalten, das Auffangzentrum für die betroffenen Familienmitglieder einzurichten. In meiner Brusttasche hatte ich eine Liste mit sieben Namen, aber es war nicht sicher, was mit ihnen geschehen ist. Ich habe dann darauf bestanden, dass zuerst die Angehörigen über das Schicksal der Männer informiert werden und das ist so gemacht worden. Das ist enorm wichtig gewesen. Das Zusammensein mit den Angehörigen ist auch für mich wichtig gewesen, mit diesem Ereignis umgehen zu können.’

Der Feuerwehrmann, der den Zusammenbruch der Betondecke in der Garage miterlebt hatte, meint: ‘Zuerst war ein Geräusch, dann Ruhe, dann ein Knacken und Steine, die herunterrieseln, und dann ein Knall. Wenn ich hier stehe, kommt alles wieder hoch – es war nie weg. Die vergangenen 17 Jahre sind für mich sehr prägend gewesen.’

Für alle, die damals vor Ort gestanden sind, war es ein schwarzer Tag. Sind trotz der tragischen Umstände auch positive Dinge daraus gewachsen?

‘Das Unglück hat Änderungen und Reaktionen im Feuerwehrwesen gebracht. Einige Monate nach Gretzenbach hat es in einer Tiefgarage in Lenzburg gebrannt. Da hat man – ausgehend von den Erkenntnissen hier – sofort begonnen, die Decke abzustützen. Und in einem andern Fall weiss ich, dass freiwillig die Humusschicht über einer Tiefgarage abgetragen worden ist.’

‘Das Leben!’ Es folgen keine Erklärungen dazu, aber die Aussagekraft des Wortes ist klar genug. Das Leben an sich; die Möglichkeit leben zu können – leben zu dürfen.

‘Die Kameradschaft und der Zusammenhalt danach, das gegenseitige Tragen innerhalb der Gruppe – das war unglaublich. Und ausgelöst durch das Unglück sind auch Careteams entstanden, die eine enorme Hilfe sind. Man kann da die Emotionen verarbeiten und einordnen, mit Menschen, die wissen was, man erlebt hat,’

‘Das Unglück hat eine grosse Solidarität ausgelöst. Diese Solidarität ist aus der ganzen Welt nach Schönenwerd gekommen. Es hat danach ein grosses Interesse an der Feuerwehr gegeben und viele junge Menschen sind in den Feuerwehren eingetreten.Heute geht uns der Nachwuchs leider wieder verloren, weil die Jugendlichen so viele verschiedene Möglichkeiten haben.’

Es ist ein eindrücklicher Moment, der sich vor dem Gedenkstein abspielt. Die Feuerwehrleute gehen zu ihm und platzieren ihre Fackeln davor.

Genau so unauffällig wie sie gekommen sind, läuft die Gruppe danach wieder zurück zum Feuerwehrlokal. In der Bevölkerung gerät das Ereignis zunehmend in Vergessenheit. Es leben inzwischen viele Menschen hier, die diesen Samstag nicht vor Ort oder überhaupt nicht erlebt haben. Für die Männer und Frauen der Stützpunktfeuerwehr Schönenwerd – Gretzenbach hat der 27. November eine Bedeutung, die noch lange nicht in Vergessenheit geraten wird.
Vor dem Gedenkstein beim Feuerwehrlokal gibt es nochmals eine Pause; Rosen und Kerzen werden hingestellt. Danach gibt es ein Zmorgen, ganz im Sinne des Unglücks: Den Zusammenhalt pflegen.
Jede/r hat einen Weg gefunden, mit den gemachten Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Deckeneinsturz umzugehen. Wut und Enttäuschung – diese Gefühle schwingen immer noch mit – verursacht die Tatsache, dass niemand für die Fehler zur Verantwortung gezogen worden ist. Und dies im Wissen, dass ‘wir den Auftrag richtig ausgeführt haben und es keine Vorwarnungen gegeben hat!’

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