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Orte mit spannenden und persönlichen Geschichten: Das Kreuz in der Weid

Am Anfang stand ein Mail, das die Verbindung zum Kreuz in der Weid herstellte. Dann zeigte sich, dass die Geschichte gar nicht so einfach ist. Es entwickelte sich eine spannende Suche nach den Fakten. Eigentlich sind die Recherchen nicht abgeschlossen, wir begnügen uns dennoch  mit einer Portion Spekulation – spannend ist die Sache trotzdem.

Das Weidkreuz und die Familie Kipfer

Nach Erscheinen des Beitrages über den Täfeli-Baum schickte Marianne Walther folgendes Mail:

Ich bin „Heimweh-Gretzenbacherin“, wohne ich doch seit 2016 in Stetten, nicht im Kanton Aargau, sondern in Schaffhausen. Damit ich den Bezug zum Nierderamt nicht ganz verliere, habe ich das OT abonniert und mit Freude den Bericht über die 11 besonderen Orte gelesen.

Mein Ort, den ich heute vorstelle, ist im eigentlichen Sinne kein Ort zum Verweilen – er ist mehr eine schöne Erinnerung. 1999 – 2013 waren wir in Gretzenbach daheim und zwar im „Küpferhus“ gleich gegenüber dem Kindergarten. Die Grossmutter meines damaligen Ehemannes hat es gebaut, nachdem sie das jetzige Kindergartengebäude – in dem sie aufgewachsen ist und das sie als Bauernbetrieb geführt hat – der Gemeinde Gretzenbach geschenkt hatte.

Die Mutter der Grossmutter Rosa Jäggi, geb. Küpfer, hatte 2 Brüder (Jahrgang vermutlich um 1850 herum), die nach Amerika ausgewandert sind. Zum guten Gelingen ihres Vorhabens brachten sie vermutlich eine Plakette* am grossen steinernen Kreuz an, das auf dem Vorplatz ihres Daheims stand. Diese Plakette ist später zum Restaurieren weggegeben worden und nie mehr zurückgekommen. Das hätte sicher Klarheit in die Angelegenheit gebracht, denn die Familiengeschichte hatte immer erzählt, dass das Kreuz im Zusammenhang mit der Auswanderung aufgestellt worden ist. Das kann aber vermutlich nicht sein, weil darin die Jahreszahl 1803** und der Name Viktor Kipfer eingraviert sind.

Was aus diesen Auswanderern geworden ist, weiss man nicht.

Mit den Jahren ist das Kreuz instabil und damit gefährlich geworden und (Schul-) Kinder waren immer in der Nähe. Mein Schwiegervater wollte es dann wegen Einsturz-Gefahr eigentlich beseitigen. Die Gemeinde hat davon erfahren und es in der Folge umplatziert, da stand es wohl schon unter Denkmalschutz***.

Das Fundament vom ersten Standort ist noch vorhanden: Es befindet sich in der Einfahrt zum Kindergarten, auf der rechten Seite, in den Lorbeersträuchern. Und das ist mein „spezieller Platz“: Jedes Mal, wenn ich diese Steinplatte gesehen habe – vor allem bei der Gartenarbeit 😉 – ist mir diese Familiengeschichte eingefallen. Und obwohl es ja die Familie meines Mannes war, hat dieser Sockel bei mir ein Gefühl von „dazugehören“ ausgelöst.

Einmal im Jahr, am Abend vor Fronleichnam, findet der Weidumgang statt. Dieser Anlass ist von Pfarrer Knorr initiiert worden. Er beginnt vor der Pfarrkirche und führt über den Täfelibaum und die Allmend zum Weidkreuz. Den Abschluss dieses geselligen und besinnlichen Spazierganges bildet jedes Mal ein grosses Feuer, in dem Würste gebrätelt werden können. 2020 ist dieser Anlass wegen Corona ausgefallen, er kann dieses Jahr hoffentlich wieder durchgeführt werden.

Ich wünsche Gretzenbach eine gute Zeit und schicke sonnige Grüsse aus Schaffhausen / MW

Anmerkungen

* Das Weidkreuz hat – eher untypisch -auf der Vorder- und der Rückseite runde Vertiefungen, in die Plaketten eingesetzt werden konnten. Möglicherweise sind sie für die Auswanderungs-Plaketten angefertigt worden.

**1803 gab es eine Auswanderungsbewegung, vorwiegend aus dem Kanton Zürich; darunter sollen sich aber auch Solothurner befunden haben. Gehörte dieser Viktor Kipfer dazu? Pfarrer Jäggi erwähnt in seinem Buch ‘Gretzenbach’ zwei Personen dieses Namens: Der eine war Schulmeister, der andere der Kronen-Wirt. Diese zwei Männer sind es eher nicht; sie waren 1803 zwar auf der Welt, werden im Buch aber ein paar Jahre später als Berufsleute im Dorf erwähnt.

 *** Das Kreuz ist am 30. November 1945 am alten Standort durch den Beschluss des Regierungsrates unter Schutz gestellt worden. Knapp 50 Jahre später (8.7.1994) wurde der Schutzstatus am neuen Ort in der Weid erneuert. Hier befand sich im 6./7. Jahrhundert n.Chr. die erste Kirche Gretzenbachs. Im Buch ‚Gretzenbach‘ sind folgende Nachweise über den Standort dieser Kirche vorhanden: 1922 sind in diesem Gebiet Entwässerungsarbeiten durchgeführt worden, die ein Mauerwerk und menschliche Knochen zu Tage gebracht haben. Zudem besteht für dieses Gebiet die alte Flurbezeichnung ‚Bergkilchmatt‘.

Über das Ende der Kirche gibt es keine gesicherten Angaben. Vermutlich ist das Kirchlein Mitte des 15. Jahrhunderts für Gottesdienste wegen Baufälligkeit nicht mehr zu nutzen gewesen. Ein weiterer Grund dürfte die Reformation, bzw. die nachfolgende unruhige Zeit gewesen sein. Pfarrer Jäggi nahm in seinem Buch das Gerücht auf, dass die Kirche von Reformierten aus anderen Dörfern niedergebrannt worden sei. Zu all dem lief Gretzenbach zunehmend dem Weiler Weid den Rang ab, so dass auch die Kirche umplatziert wurde; 1669 fand dann die Einweihung der Pfarrkirche Gretzenbach statt. / HS

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