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Gretzenbach – Die Steuerhölle: JETZT oder BALD?

Der 15. Mai 2022 ist ein Abstimmungssonntag. Neben eidgenössischen Vorlagen geht es auf kantonaler Ebene u.a. um die Steuerinitiative «Jetzt sind mir draa». Gemeindepräsident Walter Schärer (FOG) nimmt Stellung zu dieser Vorlage und dem regierungsrätlichen Gegenvorschlag.

Die Gemeinde Gretzenbach hat eine Abstimmungsempfehlung zu den beiden kantonalen Steuervorlagen öffentlich gemacht: Ein ungewohntes und seltenes Vorgehen.
Zudem ist auffällig geworden im Verlauf der letzten Tage: Der Widerstand gegen beide Anliegen ist da – die Leserbriefe in den letzten Wochen suggerierten lediglich einen Zweikampf zwischen der Initiative und dem Gegenvorschlag.

Die Initianten bezeichnen den Kanton Solothurn als Steuerhölle. Also ist auch Gretzenbach eine Steuerhölle!

WS: Das sehe ich nicht so. Gemäss den Erhebungen des AGEM (Amt für Gemeinden Kt. SO) aus dem Jahre 2021 gehört Gretzenbach zu den 68 Gemeinden, welche über dem Durchschnitt des Steuersatzes von 115.2% liegen. Nur 39 Gemeinden liegen darunter. Also wir bewegen uns im grossen Haufen und somit sehe ich bei uns keine Steuerhölle.

In der Abstimmungsempfehlung des Gemeinderates werden Mindereinnahmen von mindestens CHF 300’000.- bis zu CHF 1’400’000.- prognostiziert. Worauf beruhen diese Annahmen?

Diese Zahlen stützen sich auf die Steuererträge des Jahres 2017 und wurden vom Kanton so berechnet.

Ist die Abstimmungsempfehlung deine persönliche Meinung oder ein Beschluss des gesamten Gemeinderates? Stehen alle Ortsparteien dahinter?

Dieses Geschäft wurde am 5. April 2022 im Gemeinderat behandelt. Sämtliche Mitglieder waren an der Sitzung anwesend und somit waren auch alle Parteien vertreten. Der Gemeinderat hat den Antrag, die Steuerinitiative – als auch den Gegenvorschlag – abzulehnen, einstimmig beschlossen.

Warum weist die gemeinderätliche Abstimmungsempfehlung nur deinen Namen auf?

Im Flyer ist zu lesen, dass der Gemeinderat einstimmig hinter dem Doppel-Nein steht. Und es ist ebenfalls zu lesen, dass ich im Auftrag des GR unterschreibe. Ich glaube, das ist normal, wenn man Präsident ist.

In der Öffentlichkeit wird vorwiegend über die Initiative und den Gegenvorschlag diskutiert. Die Abstimmungsempfehlung lehnt beide Vorlagen ab. Du lehnst dich sehr weit aus dem Fenster?

Der Gemeindepräsident und die Mitglieder des Gemeinderates haben die Verpflichtung, die Wählerinnen und Wähler über die Konsequenzen aufzuklären. Die Ausfälle müssen detailliert erkennbar sein. Nachstehend die verbindlichen Zahlen zu den Ausfällen.
Bei Annahme der Initiative wird Gretzenbach ab 2023 einen Ertragsausfall von rund CHF 500’000.00 und ab 2030 von knapp CHF 1’400’000.00 absorbieren müssen. Wie sollen diese Ausfälle kompensiert werden? Entweder erhöhen wir den Steuersatz ab 2023 um 8% und ab 2030 um 22%, damit das Budget ausgeglichen gestaltet werden kann. Oder es werden nachstehende Ausgabepositionen ersatzlos aus dem Budget gestrichen: Vereinsbeiträge, Schulreisen- und Skilagerbeiträge, Anlässe wie Bundesfeier oder auch Seniorenanlässe, das Dorfblatt Dr Gretzenbacher, Investitionen in Gebäude und Strassen. Die Liste ist bei weitem nicht vollständig, aber schon schauderhaft genug, wenn man diese Zeilen liest.
Bei Annahme des Gegenvorschlages verliert Gretzenbach ab 2023 über CHF 300’000.00, was mit einer Steuererhöhung von 5% kompensiert werden könnte. Andernfalls müssten Ausgabenpositionen gestrichen werden, wenn auch im geringerem Umfang als bei der Annahme der Initiative.

Das doppelte NEIN ist das Resultat, dass bei der Ausarbeitung des Gegenvorschlages die Gemeinden nicht, bzw. zu spät mit einbezogen worden sind.

Ja, das kann man so sagen. Wobei aus meiner Sicht auch der VSEG (Verband Solothurner Einwohnergemeinden) proaktiv hätte handeln müssen und das Gespräch mit dem Regierungsrat frühzeitig suchen sollen. Danach wurde kurzfristig versucht, unter Zeitdruck und ohne konkrete Resultate (Abfederung der Gemeindeausfälle durch den Kanton), den Gegenvorschlag durchzupauken, was gar nicht gut ankam.

Das doppelte NEIN ist eine egoistische Sichtweise, weil es ja noch den Finanzausgleich des Kantons gibt.

Es gibt zwar den Finanzausgleich, aber die Berechnungen haben gezeigt, dass wir den Verlust dadurch keineswegs kompensieren können.

Der Widerstand der Gemeinden ist jetzt offensichtlich. Hast du Rückmeldungen aus anderen Gemeinden?

Die Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt (GPN) besteht aus 15 Gemeinden. 12 davon werden in dieser Woche ein gemeinsames Inserat im Niederämter erscheinen lassen. Diese enorm hohen Steuerausfälle beängstigen die Grossmehrheit der Gemeinden.

Was passiert, wenn Initiative und Gegenvorschlag abgelehnt werden? Immerhin hat die Regierung den Auftrag, die Steuern zu senken, und der Gegenvorschlag erfüllt nach Regierungsrat Peter Hodel diese Vorgabe.

Beim Gegenvorschlag sind die Gemeinden die Leidtragenden! Der Kanton kann die Mindereinnahmen gut wegstecken, erhält er doch in diesem Jahr wieder die maximale Gewinnausschüttung der Nationalbank. Mit der Summe von CHF 127’912’092.00 lässt sich der Verlust locker wegstecken.
Wie bereits aus der Presse ersichtlich ist, geht man nach einer Ablehnung wieder zurück auf Feld 1. Und dann ist es wichtig, dass alle Parteien, die betroffen sind, an den Tisch geholt werden. Ich bin überzeugt, dass eine Lösung gefunden werden kann, mit der alle Beteiligten leben können.

Neben dieser emotionalen Vorlage geht es im Kanton noch um:

  • die Verfassungsänderung: Öffentliche Schulen und
  • die Gesetzesinitiative ‘Weniger Sozialhilfe für Scheinflüchtlinge’


Auf eidgenössischer Ebene wird über die Änderung des Filmgesetzes, die Änderung des Transplantationsgesetzes und die Übernahme der EU-Verordnung über die europäische Grenz- und Küstenwache abgestimmt.

Darum Abstimmen gehen! Die Existenz dieses Rechts ist wichtig, auch wenn wir es als Selbstverständlichkeit erachten.

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