Eine offene Serie über spezielle Plätze in Gretzenbach. Bisher erschienen: Der Täfelibaum
Ein geschichtlicher Rundgang
Der Bau der Anlage begann 1868 mit dem Bau eines Gewerbekanals. Dieser diente als Antrieb für das Firmenkraftwerk der Bally-Schuhfabriken. Als Erholungsraum für das Personal und zur Freude der Bevölkerung wurde auch ein Park angelegt. Dieser gehörte zur typischen damaligen «Industrielandschaft», die aus Fabriken, Fabrikantenvilla, Arbeiterhäusern, Lagerhäusern, sozialen Einrichtungen (Kosthaus) und Erholungsraum (Park) bestand.
Zwischen 1888 – 1890 wurde der Park erweitert und nach dem Stil der englischen Landschaftsgärten gestaltet, d.h. beim Spazieren sollten immer wieder neue Aussichten geschaffen werden. So entstanden Weiher, geschwungenen Wege, ein kleiner Pavillon, eine Kapelle, eine Grotte, die Pfahlbauten und der Speicher aus Gränichen. Die Familie Bally brachte zudem viele exotische Pflanzen von ihren Reisen mit. Die arrangierte Naturlandschaft ist noch heute so in grossen Teilen erhalten.
1919 wurde das imposante Kosthaus fertiggestellt. Im Erdgeschoss gab es eine grosse Kantine für die ArbeiterInnen, im Obergeschoss war diejenige für die Angestellten untergebracht. Im Dach befanden sich Zimmer für die ArbeiterInnen und im Keller gab es öffentliche Duschen und Wannenbäder. Zu jener Zeit wurde das Kosthaus im Volksmund das «Parkhotel» genannt.
Nach dem Ende der Bally-Ära wurde der Park etwas vernachlässigt. 2001 übernahmen die Einwohner- und Bürgergemeinden Schönenwerd, Gretzenbach und Niedergösgen die Parkanlage. Dadurch wurde es möglich, den Park wieder so herzustellen, wie wir ihn heute erleben dürfen. Seit 2012 gehört das Kosthaus einem privaten Käufer. Es wurde in BallyHouse umbenannt, renoviert und kann für Events gemietet werden.
Meine persönlichen Gedankenreisen
Obwohl ich den Park allen Besuchern gönne, bin ich natürlich am liebsten dort, wenn es nicht so viele Leute hat. Ein regnerischer Tag im Herbst ist mir daher viel lieber als ein sonniger Sonntagnachmittag. Ich geniesse es dann sehr, wenn mein Hund sich schnüffelnd viel Zeit nimmt und ich meine Gedanken reisen lassen kann in andere Zeiten. Ich versuche mir oft vorzustellen, wie es damals war:
- Wer ging hier Ende des 19. Jahrhunderts am Sonntag spazieren? Waren es die Arbeiter und ihre Familien, der Mittelstand oder die «Besseren»? Konnten sich die Leute werktags überhaupt Zeit dafür nehmen?
- Worüber haben sie beim Spazieren gesprochen; was waren ihre Sorgen und Nöte?
- Was trieb die Fabrikarbeiter während der Arbeitswoche in den Park: Ihr Essen in den stapelbaren Gamellen?
- War nach Feierabend, nach dem Ertönen der Fabriksirene, noch jemand im Park?
Aus dieser Zeit des Parks habe ich leider keine konkreten Antworten auf meine Fragen gefunden, ich kann nur mutmassen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich dann eher Frauen des Mittelstands, in eleganter Kleidung mit ihren Kindern spazieren, während ihre Männer «das tägliche Brot verdienen» – eine für damalige Zeit normale Rollenteilung.
FabrikarbeiterInnen sehe ich eher in den milderen Jahreszeiten, während sie das mitgebrachte Essen verzehren und sich dabei über Geldknappheit, Familie und Arbeit unterhalten. Das Leben damals war bestimmt kein Honigschlecken.
Hingegen wurde mir einiges aus den 1950er Jahren von meiner Mutter über das Leben in und um den Bally-Park überliefert. Als junge Frau kam sie aus Italien nach Schönenwerd, um in den Bally-Fabriken zu arbeiten. Sie wohnte auch eine Zeit im Kosthaus, wo sich in den oberen Etagen Mehrbettzimmer für die ArbeiterInnen befanden. Natürlich alles strikt nach «Mannen» und «Frauen» getrennt, so wie es sich gehörte. Aus ihren Erzählungen darf ich annehmen, dass es eine lustige und unbeschwerte Art von Wohngemeinschaften war.
Der Bally-Park lag direkt vor der Türe und wurde rege benutzt, zum Picknicken, zum Flanieren mit Freundinnen und Freunden (und vermutlich auch für manch schönes Schäferstündchen).
Aus meiner Kindheit habe ich nicht viele Erinnerungen an den Park. Vielleicht lag es daran, dass wir Arbeiterfamilien «im Feld» wohnten und daher eher «die Badi» und den Sportplatz als unser Tummelfeld benutzten. Eine ist mir jedoch geblieben.
Meine Wege durch den Park
Im Park gibt es vier Hauptwege, den Veloweg überlasse ich aber dem Radverkehr.
Mein Lieblingsweg ist zwischen Bahnlinie und Kanal eingebettet. Hier sind jeweils nicht so viele Leute unterwegs, dafür machen es sich die Schwäne auf dem Weg gemütlich. Hier kann man auch gut die zahlreichen Enten im Kanal beobachten, wie sie wild um ein paar Stücklein trockenes Brot kämpfen. Einmal habe ich sogar einen jungen Fuchs gesehen. Ich will mir lieber nicht vorstellen, auf wen er wartete.
Ein Weg führt mitten durch den Park, entlang der Wiesen, des grossen Teiches, der Pfahlbauten, der Grotte und des Kinderspielplatzes. Mein Lieblingsort auf diesem Weg ist das Dach der Grotte. Vor Jahren sah ich von hier aus mehrere Sommer lang eine grössere Schildkröte, die sich auf einem Stein sonnte. Was ist wohl aus ihr geworden?
Dann gibt es noch den Weg, der Aare entlang. Dieser wurde nach dem grossen Hochwasser von August 2007 erhöht, um die Pfahlbauten und den Park besser zu schützen.
Beim Pavillon, in der Mitte des Parks, führt ein Nebenweg zum Ort, wo früher die Kapelle stand. Davon sind jetzt nur noch die Grundsteine zu sehen. Dieser Teil des Parks war lange (bis in die 70er/80er Jahre) eingezäunt und nicht zugänglich für die Öffentlichkeit. Dass er damals für die Familie Bally reserviert war, habe ich erst kürzlich erfahren.
Es gibt noch viel Spannendes über den Bally-Park. Interessierten empfehle ich das «Dossier Bally-Park» von Philipp Abegg zu lesen, viel Neues habe auch ich daraus erfahren. / ak
Quellen:
- www.ballyana.ch/ausstellung/bally-park (Dossier Bally-Park von Philipp Abegg)
- www.ballyhouse.ch/die-geschichte#die-geschichte-details
- www.schoenenwerd.ch/sehenswertes
p.s Der nächste Beitrag befasst sich mit dem Kreuz in der Weid. Und danach folgt ………….. Ihre Geschichte? / HS