Spezielle Orte

Orte mit spannenden und persönlichen Geschichten: Der Grenze entlang Teil 2

Der erste Teil der Grenzwanderung erfolgte von Schönenwerd bis zum Wissbächli im Grod. Begleiter auf dem zweiten Abschnitt bis zur Ortseinfahrt Däniken war Klemens Schenker, ehemaliger Lehrer und Schulleiter in Gretzenbach, und Mitglied der Redaktion Gretzebacher, die 1995 das Thema Grenze aufgenommen hatte.

Wir treffen uns im Dorf. Unsere Anlauf- bzw. Einlaufstrecke führt meist dem Gretzenbacherbach entlang Richtung Kölliken. Schade, dass es keinen Weg hat. Wir laufen also querfeldein und kommen am Zinggweiher vorbei, der aktuell kein Weiher mehr ist, da er praktisch trocken liegt. Grund: Im Winter wird das Wasser abgelassen, damit das Schilf entfernt und somit das Verlanden des Weihers verhindert werden kann.

Weiter oben treffen wir auf ‘unseren’ Grenzstein. Er steht an der Mündung des Wissbächli und bildet den Ausgangspunkt unserer eigentlichen Wanderung.

Wir haben uns in der Redaktion immer gefragt, was die Leute interessieren könnte. Das Thema Grenze ist irgendwie gesetzt gewesen. Wir diskutierten dann, in welchen Bereichen man das Thema anpacken könnte. Es gibt überall Grenzen. Also lohnt es sich darüber nachzudenken, was Grenzen bedeuten. Ich habe vor allem überlegt, was die Schule dazu gestalten könnte. Wir haben immer wieder Anlässe mit allen Klassen gemacht. Der Gemeindegrenze nachzugehen ist schnell auf der Hand gelegen. In der 4. Klasse ist in der Geografie beispielsweise das Dorf ein Thema.
Die Umsetzung der Grenzwanderung brauchte dann Vorbereitung. Die Fragen sind gewesen: Wie gehen wir der Grenze nach? Wann gehen wir der Grenze nach? Wie markieren wir den Weg, der ja nicht immer schön der Grenze nach verläuft?
Die Grenze ist ziemlich lang Wir sind dann auf die Idee gekommen, der ganzen Grenze entlang Fähnchen zu stecken. Jede Lehrperson hat einen Abschnitt gezogen und der Grenze nach die Fähnlein gesetzt.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob wir die Wanderung alle am gleichen Tag gemacht oder ob wir uns aufgeteilt haben. Die ganze Schule ist die Strecke aber abgelaufen, die Kleinen natürlich nur einen Teil davon.
Die Mittelstufe erkundete mit mir am 21. November 95 den Verlauf unserer Grenze. Gestartet sind wir beim Waldhaus, genau beim Anfang des Roggehuserbächlis. Es war auch November wie jetzt.
Wir sagten uns aber auch: Wenn wir das mit den Schülerinnen und Schülern realisieren, dann sollen auch die Eltern die Gelegenheit dazu haben. An den entsprechenden Orten haben wir Tafeln mit kurzen Informationen aufgestellt, damit die Leute sie lesen konnten. Am Wochenende selbst bin ich nicht unterwegs gewesen. Ich kann also nicht sagen, wie viele Personen die Wanderung gemacht haben. Einzelne Leute sagten aber, es sei super gewesen.  In den Klassen sind noch weitere Bereiche beredet worden, die mit Grenzen zu tun haben. Das ist wirklich ein gutes Projekt gewesen.

Zunächst folgen wir dem Bach. Rechts neben uns sind die Landwirtschaftsflächen des Grod. Die Wiesen entlang des Baches waren einst Wässermatten. Im Rahmen der Anbauschlacht während des 2. Weltkrieges ist das ganze Gebiet drainiert worden; d.h. es wurde entwässert und anbaubar gemacht. Der Bach ist daher zum Teil unter den Landwirtschaftsflächen eingedolt.

Die Landschaft ist idyllisch und ruhig. Und trotzdem befinden wir uns in der Durchgangsschneise der Energieübermittlung. Über uns Starkstromleitungen – unter uns die Rohre der Transitgasleitung. Die Strecke im Schweizer Boden misst ab Wallbach (AG) bis zum Griespass (VS) 165 km und liefert Gas vorwiegend vom Norden in den Süden. Orange Tafeln zeigen den Verlauf der Rohre.

Wir verlassen nach wenigen hundert Metern den Bach und steigen parallel zu einem Waldstück Richtung Gröderhöhe hinauf. Auf dem Boden bemerken wir sehr viele Kothaufen von Rehen, wahrscheinlich auch Wildschweinspuren. Das Gebiet lebt, ohne dass man es sieht. Und im Wald drin wird Holz gespalten.

Unterhalb des Barmettlerhofes zieht mein Wanderleiter eine Karte hervor.

Diese Karte des Wasserwirtschaftsamtes Solothurn zeigt einen Querschnitt durch das Niederamt mit dem darunterliegenden Grundwassersee. Bei Rothacker steht ‘Industrieabfälle’. Geradeaus vor uns sieht man Dolinen (Senkungen). Im Jura gibt es diese oft.
Ca. 1890 ist in Däniken die Verzinkerei gebaut worden. Am Anfang hat man den Zink-Schlamm, der übrig bleibt, vermutlich ins Wasser gelassen. Nach einem Verbot ist der Schlamm in den Dolinen hier deponiert worden. Das Regenwasser hat sich im Untergrund seinen Weg gesucht. Mit ihm ist das Gift zum Löchli, in den Dänikerbach, in die Aare und ins Grundwasser gelangt. Man konnte die Giftrückstände im Grundwasser nachweisen. Eigentlich wollte man das Problem auslagern und hat später gemerkt, dass das Gift wieder zurückkommt.
Es ist klar, dass man damit dann aufhören musste.  Ich weiss nicht, ob inzwischen die Rückstände herausgeholt worden sind oder immer noch in den Dolinen liegen.

Gröder meinen, der Schlamm befinde sich immer noch im Boden. Nachfragen beim kantonalem Amt für Umwelt ergeben, dass es sich bei ‘den erwähnten Dolinen um die im öffentlich zugänglichen Kataster der belasteten Standorte unter den Nrn. 22.096.0005A, 22.096.0005A.02 und 22.096.0005A.03 handelt.’ Es sind sich also untersuchungsbedürftige Lagerstätten.

Weiter meldet das Amt, dass man ‘die Grundeigentümerin dazu aufgefordert habe, eine altlastenrechtliche Voruntersuchung durchzuführen. Stand heute ist bei uns noch kein Untersuchungsbericht eingegangen.’

Sobald die Untersuchung – wenn sie durchgeführt wird – abgeschlossen ist, werden eventuell Massnahmen ausgesprochen. Das Amt priorisiert zurzeit diesen Ort ‘auf Grund der bekannten Umweltdaten aus der Umgebung nicht’.

Unser Weg verläuft weiter mitten durch den Gutsbetrieb Barmettlerhof, der auf der Grenze von Grod und Rothacker steht. Rechts von uns befindet sich der zweithöchste Punkt Gretzenbachs (492 m). Ihn umgehen wir und lassen einen schönen Aussichtpunkt aus.

Im Jahr 2000 hatte die Transitgasleitung die Absicht, auf dieser Erhebung eine Molchstation zu errichten. Ein Molch ist ein Gerät zur Kontrolle und zum Putzen der Leitungen. Es gab Widerstand gegen diese Pläne und das Projekt wurde – zum Glück – im Löchli (Däniken) realisiert.

Unser Weg geht über die Strasse und führt uns ein Stück in den Wald hinein.  Nach kurzer Strecke im Wald laufen wir am Waldrand entlang. Damit verlassen wir unbeabsichtigt die Grenzlinie, diese verläuft parallel im Wald drin. 1995 ist für die Grenzwanderung ein Weg durchs Dickicht freigeschnitten worden.

Nächster Fixpunkt ist der Findling im Räsgraben.

1981 habe ich mit der CVP einen Rundgang durchs Dorf zu besonderen Punkten gemacht. Ich habe auch den Findling hier gezeigt. Das angebrachte Schildchen hat man gesehen, vom ganzen Stein war nur ein kleiner Teil sichtbar. Er ist von heruntergerutschtem Material zugedeckt und überwachsen gewesen. Ich habe dann angeregt, den Block freizulegen und wieder zugänglich zu machen, damit man ihn mit den Schulkindern anschauen könne – dieser Stein sei eine Seltenheit. Im Herbst darauf hat eine Gruppe den Stein gesäubert und eine Treppe angelegt.
Weil der Block unter staatlichem Schutz steht, habe ich mit dem Kanton Kontakt aufgenommen. Da hat man gewusst, dass hier ein Stein liegt, aber mehr wussten sie nicht. Ich musste für die Analyse ein Stück abschlagen. In der Antwort hat es geheissen, dass der Stein nach Bern geschickt worden sei, wo ein Dünnschliff gemacht wurde. Dabei hat man herausgefunden, dass der Block aus dem Gebiet zwischen dem Fiescher- und dem Lötschental stammt und mit dem Rhonegletscher hergekommen sei. Man sagt, er sei 3’000-4’000 Jahre unterwegs gewesen. Das kann nur während der Risseiszeit geschehen sein, die Würmeiszeit ist nicht mehr bis hierhergekommen. Seitdem liegt er da. Das ist der älteste Gretzenbacher.

Seit der Putzaktion sind wir auch mit der Schule hierhergekommen. Es ist jeweils ein lustiges Bild, wenn die ganze Klasse auf dem Stein hockt. Jedes Kind, das in den letzten Jahren in der Primarschule gewesen ist, ist wahrscheinlich einmal hier gewesen. 
Drei oder viermal haben wir seither von der CVP aus den Stein geputzt und den Zugang hergerichtet. Jetzt habe ich wieder eine Putzaktion angeregt. Aber die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Die Leute, die damals mitgemacht haben, sind alle älter geworden, wie ich. Vielleicht lässt aber der Förster die umgestürzten Bäume entfernen, damit wenigstens der Zugang zum Findling wieder möglich wird. Mich dünkt es schade, wenn wieder alles zuwächst. Und das wird relativ schnell gehen.
Es ist auch schwer das Gewicht des Steins zu schätzen, da man nicht weiss, wie tief er in den Boden hinein geht.

Als Kinder sind wir hier in den Wäldern herumgeströmt. Das Schild am Stein ist mir nie aus dem Kopf gegangen. Der Brocken und das Messingschild, das damals noch heller gewesen ist, haben mich fasziniert. Ein Stein, der im Wald liegt und erst noch geschützt ist!
In meiner eigenen Schulzeit hat es keine Ausflüge hierher gegeben. Mein Vater hat mir auch nie davon erzählt. Man hat ihm keine Bedeutung beigemessen. Er ist zur damaligen Zeit auch auf Gröder Boden gelegen. Bis 1972 ist hier im Räsgraben die Gemeindegrenze zwischen Gretzenbach und Grod durchgegangen.

Im Jahre 2000 ist ein Büchlein erschienen mit dem Titel: Gretzebacher Gschechde – Dr Fendleng i dr Weid verzöut vom Chnochebäri und ufgschribe vom Chlouse-Färdis-Getruds-Kari. Darin wird die Sage erzählt, wie der Findling an seinen Platz gekommen ist.

Es geht weiter, die Dorfgrenze Däniken ist bald erreicht

Das ganze Gebiet hier heisst Eich. Der Name Eich kommt von Eiche. Der Wald ist früher hier oben gestanden und das waren Eichenwälder. Der Wald hatte damals eine ganz eine andere Bedeutung. Ab Herbst hat man die Schweine hineingelassen, die sich von den Eicheln ernährt haben. Später hat man Tannen für den Eisenbahnbau gesetzt. Es heisst, 5’000 Jahre Eichelmast haben den Wäldern weniger geschadet als 50 Jahre Eisenbahnbau.
Wenn man einen Eichenwald aufbauen will, muss man schauen, dass es keine Buchen hat. Diese ist schnellwüchsiger als die Eiche und verdrängt die Eichenbäume. Heute ist es unvorstellbar, dass hier oben auf der Allmend und Im Eich ein Wald war.

Die Gemeindegrenze verläuft in der Fortsetzung unmittelbar neben den Däniker Privatgrundstücken und nicht, wie die Vorstellung vorgibt, auf der Höhe, vom Täfelibaum hinauf Richtung Uelihof. Der Kontrast zwischen den privaten Rasenflächen und dem Landwirtschaftsland ist so krass, dass spontan der Vergleich mit der Innerdeutschen Grenze zu Zeiten des kalten Krieges einfällt. Wir folgen dieser Grenzlinie, bis ein Schafpferch den Weitermarsch verhindert. Die Tiere sind recht neugierig und stehen Modell. Ihre Fellzeichnung ist aber ungewohnt. Es handelt sich um eine Schwarzkopfrasse, das ist offensichtlich. Aber woher stammt sie?

Direkt daneben steht der Bahnhof von Pontresina – wenigstens im Modell. Der Besitzer hat aus seinem Grundstückes eine Bahnlandschaft gestaltet, die um das ganze Haus führt. Eines ist sicher: Wenn das Haus dereinst verkauft wird, darf es nur an einen Eisenbahnfan gehen. Alles andere wäre schade.

Querfeldein wird es zu mühsam. Wir zweigen auf die Gröderstrasse ab.

An der Allmendstrasse hatte das KKG Bauland, welches für die Mitarbeiter gedacht gewesen war. Das Interesse war nicht da und so hat das Kernkraftwerk die Parzellen privat verkauft. Die letzte Parzelle ist vor nicht allzu langer Zeit veräussert worden.

Vom Stapflenweg zweigt eine Sackgasse ins Mösli ab. Die beiden Häuser, die daran liegen, befinden sich auf Gretzenbacherboden, sind aber nur über das ‘Ausland Däniken’ erreichbar.

Nächster Halt ist die Ettenburgstrasse, auf der Höhe der letzten Häuserzeile. Hier wird offensichtlich, dass die beiden Dörfer kaum zusammenwachsen werden. Trennungsgründe sind teilweise Animositäten:  Die Gretzenbacher Ettenburgstrasse heisst auf Däniker Seite Ettenbergstrasse. Um diese Verbindungsstrasse hat es Streit gegeben, ob sie weiterhin befahrbar bleiben oder geschlossen werden soll.

Ein weiterer Hinderungsgrund sind die Hochspannungsleitungen der Aare-Tessin AG. Sie bilden einen Grenzstreifen, der – wie zu Zeiten des Kalten Krieges – elektrisch geladen ist. Auf Däniker Boden befinden sich einige Häuser ganz nahe dieser Leitungen. Heute könnte man so wohl nicht mehr bauen. Möglicherweise werden die Leitungen auch nach Abbruch des KKG – es soll ja in den 2030er-Jahren stillgelegt werden – noch hier durchführen.

An diesem Punkt war im Jahre 1995 das Ende der Grenzwanderung. Wir machen aber weiter und wollen links hinunter zur Kantonsstrasse. Im ersten Haus schauen zufällig die Bewohner zum Fenster heraus. Sie sind besorgt um uns und befürchten, wir hätten uns verlaufen. Nachdem sie erfahren haben, dass wir bewusst querfeldein hinunterwollen, akzeptieren sie dies, überzeugt scheinen sie aber nicht zu sein.

Auf dem Weg zu den Äckern im Grund öffnet sich ein ungewohnter Blick auf Däniken. Einmal mehr der Beweis, dass es sich lohnt, öfters mal die Wege zu verlassen.

Vor uns sehen wir die Ortstafel Dänikens. In Gedanken wandern wir bis dahin, in Wirklichkeit drehen wir unterhalb der Kante, die vom Gletscher geschaffen worden ist, ab Richtung Tempel und beenden so diese Grenzbegehung.

Klemens Schenker erzählt zum Abschluss noch, warum Gretzenbach keinen eigenen Bahnhof hat. Diese Geschichte wird der Einstieg in den dritten 3. Teil der Grenzwanderung sein. Diese Begehung findet nächstens mit einer andern Person statt. Durchs Aarefeld wird es gehen – ein eher unbekannter Gemeindezipfel, der trotzdem viel zu berichten hat.

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